Klartext im August

Einsichten von Kathrin im August

Da braut sich was zusammen

Türen knallen, erbostes Geschrei fegt durch den Flur, Beschimpfungen wechseln den Besitzer, schrauben sich in ihrer Garstigkeit erst spiralförmig ins Unverschämte und wiederholen sich dann in blanker Hilflosigkeit, weil den Streithähnen keine Gemeinheiten mehr einfallen, die sie sich gegenseitig an den Kopf werfen können.

 

»Du bist doof!« – »Nein, du bist doof!« – »Du darfst nie wieder meine Transformers anfassen!« – »Ich will überhaupt nicht mit deinen blöden Transformers spielen!« – »Du bist doof!« Auch das letzte Staubkorn im Kinderzimmer hat begriffen: Der Nachwuchs findet sich gerade doof. Da wird der Bruder verwünscht und die Schwester verflucht. Dunkle Wolken ziehen auf, verdüstern die zuvor sonnige und heitere Stimmung. In der Ferne grollen erste Donner.

»Kinder bitte! Nicht streiten!« Aber meine Stimme ist nur ein laues Lüftchen, das kaum Beachtung findet. Stattdessen verdichtet sich die Atmosphäre weiter, jedes Wort erzeugt Spannung, jede Geste gleicht einem Knistern in der Luft.

»Warum spielt nicht jeder in seinem eigenen Zimmer, bis ihr euch wieder beruhigt habt?«, schlage ich diplomatisch vor, aber da zucken schon erste Blitz, unaufhaltsam rollt das Gewitter näher. Ein paar Beschimpfungen, ein Tritt gegen das Schienbein, ein kräftiger Zug an den Haaren. Die Wut der Kinder auf den anderen, auf sich selbst, auf die Gesamtsituation entlädt sich in ohrenbetäubendem Getöse.

Und dann knallt’s …“

Besonders die Türen. Mein Mann bangt ständig um seine Türen. Hat Sorge, dass sie aus den Angeln fliegen, sobald ein Gewitter durch sie hindurchfegt. In Gestalt der Kinder. Oder mir. Denn ich finde durchaus, dass ein bisschen Rumms an der Zimmertür helfen kann, unerträglich hohe Stapel angestaute Wut zu entladen. Und ja, ich bekenne frank und frei, diese Türschlag-Sache haben sich meine Kinder vermutlich von mir abgeschaut. Besser wir lassen Dampf am holzigen Türrahmen ab, als an uns.

 

Türen dürfen die Kinder schlagen. Sich selbst nicht.

Anschreien ist okay, Beleidigungen sind ein No Go.

Sich doof zu finden, geht völlig in Ordnung.

 

Es ist okay, jemanden hin und wieder doof zu finden. Auch die Schwester, den Bruder, die Partnerin, den Partner. Manchmal findet man sich ja auch selbst ziemlich doof und weiß kaum, wohin mit diesem Gefühl. Ein bisschen Türenschlagen kann dann durchaus Abhilfe schaffen, sich dieses Gefühl aus dem Bauch zu rumpeln. 

Unwetter mit Regeln.“

Nichtsdestotrotz braucht es natürlich ein paar notwendige Grundregeln, damit zwischenmenschliche Gewitter keinen verheerenden Schaden anrichten, sondern nur der Spannungsentladung dienen. Oberste Prämisse ist, dass alle Beteiligten das Unwetter heil überstehen und niemand versehentlich vom Blitz getroffen wird. Manchmal ist das schwer. Wenn Wut wie ein Sturm durch den Körper fegt und jegliche Kontrolle unbarmherzig davonpustet. Impulskontrolle in Momenten, in denen jede Kontrolle fehlt, ist knifflig, aber zugleich eine gute Übung. Besser die Kinder lernen richtiges Verhalten im Unwetterfall früh und in einem geschützten Rahmen, als im Teenageralter, wenn ohnehin Hormon-Tornados für Gefährdungslagen sorgen. Und so kompliziert sind die Regeln ja gar nicht: Bäume meiden und von Gewässern fernhalten. Und sich lieber keiner knallenden Tür in den Weg stellen.

Stimmung heiter bis wolkig.“

Wo Menschen leben, gibt es Gefühle, die sich wie Hochs und Tiefs im ständigen Wechsel umeinander herumbewegen. Manchmal scheint tagelang die Sonne, kein Wölkchen trübt den Himmel, und abgesehen von ein paar Tränenschauern, die wie Platzregen niedergehen, versehentlich die Lieblingstasse mit den Pandaohren zerbricht, ist alles fein. Dann geht es friedlich zu, die Kinder liegen gemeinsam auf dem Sofa, die Große liest dem Kleinen eine Geschichte vor, sie teilen die geschenkten Bonbons vom Nachbarn gerecht zwischen sich auf und betreiben gemeinsam auf dem Deck ihres Spielhäuschens eine sandige Eisdiele für Hochseepiraten.

 

Manchmal aber driften wie aus dem Nichts zwei unterschiedliche Wetterfronten aufeinander, aus gutem oder scheinbar ohne ersichtlichen Grund. Oder es braut sich langsam, über Stunden hinweg ein Unwetter am Horizont zusammen, das unaufhaltsam näher kommt und unterwegs Kraft gewinnt. Obwohl man es kommen sieht, lässt es sich nicht immer aufhalten, selbst wenn man sich heroisch den dunklen Wolken entgegenwirft.

Wir reinigen uns laut.

Natürlich mag ich nicht, wenn die Kinder sich streiten. Ich mag auch nicht, wenn mein Mann und ich uns streiten. Streiten ist doof. Aber manchmal tut ein bisschen Rumpeln ganz gut, um sich zu reinigen. Es gibt ja auch Tränen, die man hin und wieder weinen muss, aus einer innerlichen Notwendigkeit heraus, die Seele durchzuputzen und wieder durchatmen zu können. Nie schnauft es sich leichter und freier, nie ist die Luft klarer als nach einem reinigenden Sommergewitter. Die stickige Luft ist saubergewaschen, die Temperaturen angenehm, die Hitze des Tages heruntergekühlt. Ein Sommerregen ist wie ein Neuanfang, mitten am Tag. Als hätte jemand einen Reset-Knopf gedrückt. Und auch wenn Gewitter bedrohlich sind und hilflos machen angesichts der Naturgewalten, die sich entladen – jedes Unwetter zieht vorbei.

 

Was für meteorologische Gewitter gilt, trifft auch auf die zwischenmenschlichen zu. Sie ziehen vorüber, machen Platz für Versöhnung und dort, wo eben noch Blitze zuckten und Donner grollte, ist plötzlich eine friedliche Ruhe, die leise Annäherung möglich macht. In der frischen, wutsauberen Luft kann um Verzeihung gebeten und Vergebung gewährt werden. Und die einzige Kraft, die dann wirkt, ist die Liebe, die uns zuflüstert, wie gern wir uns doch eigentlich alle haben, wie froh wir sind, zusammensein dürfen. Der zuvor niedergegangene Schauer mag noch in letzten Tropfen auf unseren Armen glitzern, wenn wir uns umarmen und innig festhalten, miteinander kuscheln und großzügig Transformers zum Spielen anbieten. Aber auf jeden Regen folgt der Sonnenschein. Und im Sonnenlicht sehen die Sprünge im Türrahmen gar nicht mehr so schlimm aus.


 

Autorin

Kathrin Waiz

 

Kathrin ist diejenige, die Worte für das Unaussprechliche findet. Und für das Blödsinnige, das intensiv Alberne und das erschreckend Traurige. Mehr über Kathrin Waiz…

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