Klartext im April

Einsichten von Kathrin im April

Licht, Rührteig und rosa Puffärmel

Letztes Jahr um diese Zeit befand ich mich, wie so viele andere, noch in der Schockstarre des ersten Lockdowns. Fassungslos, dass ein Virus die ganze Welt lahmlegen konnte, wir Familie und Freunde nicht sehen durften und das gesellschaftliche Leben komplett eingefroren war, beschloss ich, Ostern ausfallen zu lassen, ja, ersatzlos zu streichen. Mir stand nicht der Sinn nach Vorbereitungen auf ein Fest, dem das Wichtigste fehlen würde: das Zusammensein mit meinen Liebsten.

 

Im Namen des Osterhasen schrieb ich meinen Kindern einen Brief, in dem er bedächtig erklärte, dass er sie leider nicht besuchen konnte – die Gefahr der Ansteckung sei auch für den berühmtesten Hasen der Welt einfach zu groß. Erstaunlicherweise zeigten meine Kinder sehr viel Verständnis. Für den Osterhasen, aber auch das abgesagte Fest. Wir verbrachten den Ostersonntag zu viert im trotz Lockdown mutig aufblühenden Garten, aßen gut, spielten Fußball auf der Wiese. Ein sonniger, friedvoller Tag, wenn auch ohne jeden österlichen Glanz, ohne Nester, ohne Schokoladenhasen.

 

Bereut habe ich die Entscheidung von damals nicht, es hat sich richtig angefühlt das so zu handhaben. In diesem Jahr aber, mit sämtlichen pandemiegeprägten Geburtstagen und Feiertagen auf dem Buckel, sieht die Sache anders aus. Die Schockstarre ist abgefallen und hat eine neue Entschlossenheit freigelegt, sich mit dem Virus zu engagieren. Auch wenn die Pandemie die Welt noch immer in Atem hält, wollen wir Ostern genießen, mit allen Sinnen und jedem nur erdenklichen Pipapo. Denn der Zauber der Ostertage ist zu wertvoll, um ihn nicht zu zelebrieren.

„Ostern ist Aufregung und kindliche Freude.“

Im Fotoalbum meiner Eltern gibt es ein Bild von mir: Zahnlückig, mit von Mama selbstgeschnittenem Pony und dünnem Blondzopf grinse ich in die Kamera. Stolz präsentiere ich meine neueste Errungenschaft – bunte Rollschuhe, Vollplastik, selbst die noch makellosen Rollen. Neu und glänzend liegen sie auf grünem Papiergras in einem Körbchen, das ich in den Händen halte. Ich weiß noch, wie kalt meine Hände gewesen waren, wie sie gezittert hatten. Vor Freude und Aufregung, weil mit den Rollschuhen wirklich ein Herzenswunsch in Erfüllung gegangen war, aber auch, wegen der Kälte an diesem Ostersonntag. Den Temperaturen zum Trotz hatte ich mein bestes Kleid getragen, dunkelblaue Karos mit einem Hauch Pink. Ganz im Stile der achtziger Jahre durfte auch der damals total angesagte Lätzchenkragen nicht fehlen, der mit weißer Spitze meine Schlüsselbeine bedeckte. Weil ich das Kleid unbedingt hatte tragen wollen, quälte ich mich sogar in meinen damals so verhassten weißen Strickstrumpfhosen, die kratzten wie verrückt. Aber an Feiertagen machte man das eben so.

 

Man putzte sich heraus, wusste nicht wohin mit seiner Aufregung und wartete mit zappelnden Beinen auf die Erlaubnis, Haus und Garten auf den Kopf stellen zu dürfen, um das Osternest zu suchen. Dann wurde mit der Akribie eines Archäologen der halbe Garten umgegraben und jeder Winkel des Hauses durchforstet. Der Osterhase alias mein Vater war sehr pfiffig in der Wahl seiner Verstecke gewesen. Kompost, Wassertonne, Herd – nichts war vor seinen Einfällen sicher. Mein Vater fand das immer sehr lustig, im Gegensatz zu meiner Mutter, die dann sämtliche Töpfe, Auflaufformen und Küchensiebe wieder einräumen musste, wenn mein Bruder und ich auf der Suche nach unseren Nestern eine Schneise der Verwüstung durch ihre Küche gezogen hatten.

„Ostern ist die feierliche Rückkehr des Lichts.“

Egal, ob die Ostertage in den März oder April fallen, zu diesem Zeitpunkt werden die Tage spürbar länger und heller, die Natur blüht auf und mit ihr das Gemüt. Das Osterfeuer in der Osternacht leuchtet sinnbildlich für dieses Licht des erwachenden Lebens. Es funkelt in Kirchen, auf feierlich gedeckten Tischen und am wichtigsten in uns selbst. Es strahlt in der Gemeinsamkeit mit unseren Lieben beim gemütlichen Osterbrunch, einem geselligen Osterspaziergang oder einfach nur im Zusammensein, im Sich-Zeit-Schenken und Sich-nahe-Sein. Die Osterzeit ist bunt und freundlich, sie glänzt in handbemalten Eiern, strahlt in gelben Osterglocken, lila Krokussen und pinken Primeln und verführt mit orangenen Marzipankarotten auf dem Rübchenkuchen. Apropos Kuchen …

„Ostern schmeckt nach bodenständigem Gebäck.“

Zu Beginn jeder Karwoche hatte meine Oma begonnen, nach einem einfachen Rührteigrezept Hasen und Lämmer zu backen, die dann bestäubt mit Puderzucker an alle Enkel und Kinder verteilt wurden. Diese kleinen Küchlein waren heiß begehrt, sie schmeckten fantastisch zu einer Tasse warmer Milch, vielleicht weil meine Oma heimlich immer einen Schuss Rum in den Teig gegeben hatte. Als meine Oma älter geworden war, die Hände müde und das Backen zu beschwerlich, hatte sie mir diese Formen vermacht, die ich noch heute hüte wie meinen Augapfel.

 

Rührteiglämmer und Mürbeteigplätzchen in Form sitzender, liegender oder fliegender Hasen gehören zu Ostern wie der sehr beliebte Klassiker Rübchenkuchen – nebenbei eine der erfolgversprechendsten Methoden, unbemerkt Gemüse in meine Kinder zu schmuggeln. Die guten Inhaltsstoffe der Karotte gleichen sie zwar mit Unmengen an Zuckerperlenverzierung wieder aus, die sie im Gegenzug auf den Plätzchen verteilen, aber sei’s drum. Wenn sie sich später mit einem Lächeln im Gesicht an unser gemeinsames Backen erinnern, war es jedes einzelnes Nonpareilles wert.

„Ostern sind kostbare Erinnerungen.“

Feiertage sind die Juwelen im Kalenderjahr, sie prägen unser Tun schon Wochen im Voraus und lassen uns Jahr um Jahr geliebte Traditionen hervorkramen, die uns im ständigen Wandel ein Gefühl von Beständigkeit schenken. An den Feiertagen sind unsere Sinne scharfgestellt, saugen jedes Detail auf, jedes Gespräch, jede Panne, jede lustige Begebenheit. Auch nach mehr als dreiunddreißig Jahre wird in meiner Familie die Anekdote vom rosa Kleid ausgepackt.

Der Osterhase hatte es mir gebracht, ein niedliches Kleid mit weißen Punkten und Puffärmeln. Auch so eine Achtziger-Jahre-Erfindung, aber damals trug man das und es müssen entweder die Puffärmel gewesen sein oder aber die monströse Schleife in der Taille, die mich augenblicklich in eine Prinzessin verwandelten, sobald ich das Kleid übergestreift hatte. Das Ausmaß meines Entzückens äußerte sich darin, dass ich wie ein aufgedrehter Duracell-Hase im Haus meiner Großeltern zwischen Wohnzimmer und Altane hin- und hergeflitzt war, immer ein Schokoladenei im Mund und jede Menge Prinzessinnengefühl im Bauch. Irgendwann war es von beidem zu viel geworden und mein Magen wollte sich gerne erleichtern. Weil der Weg zur Toilette zu weit gewesen wäre, hatte ich umsichtig zum nächstbesten Behältnis gegriffen, einer Obstschale, Apfel und Birnen ausgeleert und zähen Schokoladenbrei samt Sonntagsbraten und Klößen vom Mittagessen hineingespuckt. Was ich allerdings nicht bedacht hatte, waren die dekorativen Löcher in der Steingut-Schale. Um es kurz zu machen: Der Teppich war ruiniert. Das Kleid auch. Immerhin beides mit hübschem Blumenmuster.

Auch meine Kinder, die diese Geschichte nur aus Erzählungen kennen, fordern sie immer wieder ein:

„Erzähl mal, Mama, wie du damals gekotzt hast an Ostern!“

Und dann ermahne ich sie, dass sie nicht kotzen sagen sollen, und teile grinsend diese Erinnerung mit ihnen. Nur eine von so vielen, die sich kostbar in meinem Herzen aneinanderreihen wie eine Ostergirlande. Dieses Jahr wird Ostern zelebriert.

 

Wir sind bereit für neue Erinnerung, bereit für das Licht der wiedererwachenden Natur, bereit für gemütliche Backstunden in der Küche. Eierfarben liegen schon bereit, die Kiste mit den Osterdekorationen ist direkt neben die Speichertreppe gerückt und wartet nur darauf, endlich heruntergeholt zu werden. Dieses Jahr werden wir Erinnerungen schaffen, gute Erinnerungen, solche, die nach Rührteig schmecken, sich anfühlen wie die Freude über das erste Paar Rollschuhe, die bunt sind wie die ersten Frühlingsblüher und hell leuchten wie die Aprilsonne. Und auch wenn wir vielleicht nicht alle wiedersehen können, die wir so vermissen, auch wenn der Kreis ein kleiner sein wird, in dem wir das Osterlicht teilen, wird es doch ein Wiedersehensfest – mit der Natur, mit dem Leben und all den Erinnerungen, die wir teilen. Und vielleicht auch mit Puffärmeln und kratzigen Strumpfhosen.


 

Autorin

Kathrin Waiz

 

Kathrin ist diejenige, die Worte für das Unaussprechliche findet. Und für das Blödsinnige, das intensiv Alberne und das erschreckend Traurige. Mehr über Kathrin Waiz…

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