Klartext im März

Einsichten von Kathrin im März

Vom Verlieren und Finden der Albernheit

Es ist ein vermeintlich gewöhnliches Bild vom Familienausflug zur Alpakafarm, das mein Bruder mir aufs Handy schickt, versehen mit der Nachricht: »Zoom mal ran!« Mehr nicht. Mehr ist auch nicht nötig. Ich vergrößere den Bildausschnitt mit dem Alpaka und reagiere genau so, wie ich weiß, dass mein Bruder dachte, dass ich reagieren würde. Ich reagiere so, wie ich weiß, dass auch er reagiert haben muss, als er sich den Schnappschuss genauer angesehen hat. Wir reagieren, wie wir es eben immer tun. Obwohl wir an verschiedenen Orten sind, treffen wir uns in diesem Moment zu einem gemeinsamen Lachanfall, einem von der Sorte, bei dem die Geräuschmelodie zwischen wildem Wiehern und hyperventilierendem Um-LuftRingen wechselt, einer Melodie, die unter Umständen Glas zerspringen lassen kann. Unsere Gesichtsfarbe changiert bei diesen Lachanfällen zwischen zinnober- und hummerrot, aus den zusammengekniffenen Augen spritzen Tränen und das galoppierende Zwerchfell lässt unsere Körper zucken wie zwei Tarantella-Tänzer. Das alberne Bild des grinsenden Alpakas mit Überbiss und zotteliger Ponyfrisur trifft genau unseren speziellen Humor. Wir lachen grundsätzlich über Dinge, deren humoreske Schwelle für Außenstehende kaum zu erkennen ist. Den süßlichen Geruch eines Kartons zum Beispiel. Das Kindergemälde, bei dem die Augen knapp unterhalb des Haaransatzes kleben. Das neckische Wort Schörlchen in einem knallharten Hollywood-Krimidrama.

 

[ds_preview]

 

Meinem Bruder und mir genügt ein Blick und manchmal braucht’s nicht mal den, manchmal müssen wir eben nicht mal zusammensein, sondern einander nur via Telefon oder WhatsApp informieren – schon bricht der Lachvulkan aus und reißt alles mit sich. Das ist nämlich das Beste an unseren Lachanfällen. Auch wenn andere unseren Humor nicht teilen, kann sich nicht mal nüchternste Humorlosigkeit gegen die ansteckende Wirkung unserer Lachkrämpfe wehren. Geradezu machtlos stimmen Zeugen unserer Flashs in den Heiterkeitsausbruch mit ein, kopfschüttelnd zwar, um sich zumindest halbherzig von so viel Albernheit zu distanzieren, aber gelacht wird trotzdem. Wenn auch nicht so laut wie mein Bruder und ich, so frei und ungehemmt. Fast so wie Kinder.

„Lachen wie die Kleinen.“

Kinder schütteln keine Köpfe, die prusten einfach drauflos, da braucht es keinen spitzfindigen Humor, keine ausgefeilte Ironie, ja, nicht mal einen wirklichen Grund. Da genügt ein Pups und die infantile Kichererbsen-Jahreshauptversammlung wird eröffnet. Schon Sigmund Freud hat diese besondere »Stimmung der Kindheit« beschrieben, »in der wir das Komische nicht kannten, des Witzes nicht fähig waren und den Humor nicht brauchten, um uns im Leben glücklich zu fühlen.« Seit ich selbst Kinder habe, hören meine Ohren, spürt mein Zwerchfell täglich, wie sich dieses Glück anfühlt. Meine Kinder finden unzählige Gründe zu lachen, und ich bin dankbar für jeden einzelnen. Für das selbstgedichtete Lied aus Quatschwörtern und lediglich zwei sich abwechselnden Tönen. Für den modischen Turban, designt aus einer halben Rolle Toilettenpapier, den sie sich um die Köpfe schlingen.

 

Ich liebe das ungefilterte Lachen aus den kleinen Kehlen, das ein bisschen nach Tick, Trick und Track klingt. Ich liebe ihre heiteren offenen Münder, die im Rachen tanzenden Zäpfchen, die gut durchbluteten Bäckchen. Ihr ganzer Körper wird von diesem unbeschwerten Lachen ergriffen, so sehr, dass sie ihn kaum noch unter Kontrolle haben, und schon mal einer vor lauter Belustigung vom Stuhl rutscht, was dann erst recht alle brüllend komisch finden. Erst neulich beim Abendessen geschehen. Wegen eines Pupses natürlich.

 

Was bei Kindern noch ganz natürlich ist, scheint sich mit dem Heranwachsen zu verlieren. Als würde man die Fähigkeit zum Albernsein abstreifen wie ein zu klein gewordenes Matrosenkleidchen, das mit sechs Jahren süß und passend war, mit sechsunddreißig aber unangebracht ist. Nicht ohne Grund haben Forscher herausgefunden, dass Kinder hunderte Male am Tag lachen, Erwachsene aber kaum mehr die 20er-Marke knacken. Wenn ich mich in meinem eigenen Bekanntenkreis umschaue, sind da einige Menschen, die ich noch nie herzhaft habe lachen sehen. Schmunzeln ja, vielleicht verhalten lächeln. Aber Lachen? So richtig mit Geräusch, frei und ungehemmt bis sich das Gesicht in Falten legt wie eine Ziehharmonika und der ganze Körper dazu im Takt der eigenen Vergnüglichkeit bebt? Das können sie nicht. Oder wollen nicht, denn Kontrollverlust ist unangebracht. Und unangenehm.

 

Schließlich ist Lachen nichts anderes als Zulassen und Zeigen von Gefühlen. Derartige emotionale Entgleisungen sind in einer kontrollierten rationalen Gesellschaft wie der unseren nicht erwünscht. Gilt es doch gemeinhin als Zeichen von Schwäche, Gefühle zur Schau zu stellen, selbst die guten wie Heiterkeit und Frohsinn. An sowas wie Albernheit gar nicht zu denken.

„Albernsein ist nichts Schädliches oder Kompromittierendes, nichts, was man unterdrücken muss.“

Vielmehr ist es eine Hommage an das innere Kind, das einst den ganzen Tag nichts als Albernheiten im Kopf hatte, es ist der Nährboden für das kindlich unbeschwerte Gemüt. Trotzdem bekommt Albernsein einen negativen Touch, sobald man dem Alter entwächst, in dem Albernheiten noch tolerabel sind, was bis grob nach der Pubertät der Fall ist. Dann verweisen Eltern oder Lehrer gerne auf den sich nähernden Ernst des Lebens, und Ernst ist nun mal kein Freund von Albernheiten. Es ist ein hartes Stück Arbeit, sich seine Albernheit wieder zurückzuerobern, wenn man sie erst einmal abgelegt hat. Oder zum Ablegen gedrängt wurde.

 

Bei mir hat einst eine Freundin Hand angelegt und mir mein hemmungsloses Lachen wie einen störenden Hut vom Kopf gerissen. Ein paar Jahre älter als ich, genoss sie, damals schon achtzehn, meine volle Bewunderung. Immer darauf bedacht, im Mittelpunkt zu stehen, war ihr mein Hang zur mitreißenden Fröhlichkeit ein Dorn im Auge. Lachten doch die Jungs, denen sie gefallen wollte, unverschämterweise mit mir und versagten ihr währenddessen die Aufmerksamkeit. Ich erinnere mich gut an das unerfreuliche Krisengespräch bei einer Tasse Milchkaffee in einem Diner, als sie mich energisch bat, mir diese leidige, viel zu laute Lacherei bitte abzugewöhnen. Weil sie peinlich sei. Und alle sich dadurch gestört fühlen. Tatsächlich störte es hauptsächlich sie, aber trotzdem glaubte ich ihr und fand mein Lachen fortan selbst peinlich und störend, unterdrückte auf ihr Geheiß nicht nur meine legendären Lachanfälle, sondern das Lachen generell, schlug mir die Hand vor den Mund, wenn es in der Kehle kitzelte, biss mir auf die Lippen und begnügte mich mit einem verkniffenen Lächeln. Irgendwann zog meine Freundin in eine andere Stadt, der Kontakt schlief ein und ließ die Erkenntnis zurück, dass eine Freundin diesen Titel vielleicht gar nicht verdiente, wenn sie ein Lachen untersagte, nur weil es von ihr ablenken könnte.

„Ich bin nun mal die mit dem lauten Lachen.“

Diese Erkenntnis hat einige Jahre gebraucht, um sich durchzusetzen. Aber nun macht sie einen wichtigen Teil meiner Persönlichkeit aus, einen den ich nicht mehr anzweifele, der tief mit meinem Charakter verwurzelt ist, und ich werde einen Teufel tun, ihn auszujäten wie lästiges Unkraut.

 

Wer mich will, muss auch mit meinen Albernheit und Lachflashs leben müssen. Sie gehören zu mir, sind Teil meiner Persönlichkeit und ohne mein Lachen hätte ich so manch düstere Zeit meines Lebens vermutlich nicht überstanden. Am liebsten lache ich übrigens über mich selbst. Meine angeborene Tollpatschigkeit ist ein unermüdlich sprudelnder Quell. Ich lache über das komplett verunglückte Backexperiment, bei dem ich statt Brot ein steinhartes Brikett aus dem Ofen zog. Ich lache über die Insta-Story, in der ich von einem Kurztrip mit meinem Mann berichte und mir versehentlich einen Text direkt über der Oberlippe platzierte. Für die Dauer der Story trug ich einen extravaganten Buchstaben-Schnurrbart mit dem Hashtag #couplegoals. Ich lache über den Zufallsfund des Fachbegriffes für Schamhaar, den ich aus mir selbst unerfindlichen Gründen so lustig fand, dass mein Beckenboden ernsthaft auf seine Tauglichkeit geprüft wurde. Ich sehe es als pädagogische Pflicht, meinen Kindern beizubringen, dass über sich selbst zu lachen, die höchste Form der Selbstachtung ist. Und sie sollen wissen, dass die Falten, die jahrelanges Lachen irgendwann in den Augenwinkeln hinterlässt, keine Makel sind, sondern die schönsten Spuren, die das Leben zeichnen kann. Charlie Chaplins hat mal gesagt: »Jeder Tag ohne ein Lächeln ist ein verlorener Tag.« Ich finde sogar, jeder Tag ohne mindestens einen amtlichen Lachanfall ist ein verlorener Tag – wenn dabei der Bauch scheppert und Freudentränen fließen, umso besser.

„Und manchmal genügt dafür schon ein grinsendes Alpaka.“


 

Autorin

Kathrin Waiz

 

Kathrin ist diejenige, die Worte für das Unaussprechliche findet. Und für das Blödsinnige, das intensiv Alberne und das erschreckend Traurige. Mehr über Kathrin Waiz…

No Comments

Post a Comment